Die rasante Talfahrt der deutschen Industrie konnte auch im September nicht gestoppt werden. Damit ist klar: Dem Verarbeitenden Gewerbe der größten Volkswirtschaft Europas geht es so schlecht wie seit der globalen Finanzkrise nicht mehr. Das zeigen die aktuellen Umfrage-Ergebnisse zum IHS Markit/BME-Einkaufsmanager-Index (EMI). Der saisonbereinigte PMI – eine Momentaufnahme des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland, abgeleitet aus Indikatoren für Auftragseingang, Produktion, Beschäftigung, Lieferzeiten und Vormaterialbeständen – notierte im September bei 41,7 Punkten nach 43,5 im August. Dies ist der niedrigste Wert seit Juni 2009, teilte der englische Finanzdienstleister IHS Markit in London mit. Gleichzeitig liege der EMI bereits den neunten Monat in Folge unter der Wachstumsschwelle von 50,0 Zählern. Zum wiederholten Mal beschleunigten sich die Rückgänge bei Produktion und Neuaufträgen. Der Stellenabbau war so gravierend wie seit fast zehn Jahren nicht mehr.
„Die aktuellen EMI-September-Daten sind beunruhigend und lassen für den weiteren Konjunkturverlauf in Deutschland nichts Gutes erwarten. Hiesige Unternehmen haben lange Zeit erfolgreich den zahlreichen geopolitischen Krisen getrotzt. Auf Dauer sind diese Störfaktoren offensichtlich Gift für die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und sorgen zudem für zu viel Psychologie in den Märkten“, betonte BME-Hauptgeschäftsführer Dr. Silvius Grobosch am Freitag in Eschborn.
„Deutschland befindet sich in einer Industrierezession und es ist noch kein Ende absehbar. Dies lässt sich am jüngsten EMI ablesen, der noch einmal gefallen ist“, kommentierte Dr. Gertrud R. Traud, Chefvolkswirtin der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen, am Freitag auf BME-Anfrage die aktuellen EMI-Daten. Der Handelskrieg, die Automobilkrise sowie eine stark nachlassende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie aufgrund höherer Lohnstückkosten sowie Reglementierung und Bürokratie belasteten. Erste Firmen meldeten Insolvenz an und auch der Arbeitsmarkt in der Industrie sei betroffen, auch wenn die meisten Unternehmen versuchten, aufgrund des Fachkräftemangels so lange wie möglich an ihren Mitarbeitern festzuhalten. „In diesem Umfeld helfen keine punktuellen Maßnahmen mehr. Eine umfassende, entlastende Steuerreform ist das Gebot der Stunde – und nicht Steuererhöhungen“, teilte die Helaba-Bankdirektorin dem BME abschließend mit.
„Deutschland befindet sich in der längsten Industrierezession der gesamtdeutschen Geschichte, die aber angesichts eines Anteil der Industrie von 25 Prozent am deutschen Bruttoinlandsprodukt gesamtwirtschaftlich nur zu einem Nullwachstum führt“, sagte Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, am Freitag dem BME. Eine echte Rezession mit einem tiefen Einbruch der Wirtschaftsleistung und einer spürbaren Verschlechterung des Arbeitsmarktes sei derzeit noch nicht zu erwarten. Allerdings bestehe das Risiko, dass die Industrierezession mit zunehmender Dauer und Tiefe immer mehr auf die noch robusten Teile der Wirtschaft ausstrahlt und somit zu einer echten Rezession werde.
„Sinkende Produktionen, fallende Preise und verkürzte Lieferzeiten bestätigen es – der Abschwung in der Industrie hält an. Neben Investitions- und Vorleistungsgütern verbuchen nun auch die Hersteller von Konsumgütern einen Rückgang beim EMI“, teilte Katharina Huhn, Leiterin des Referats Konjunktur, Wachstum, Unternehmensbefragungen im DIHK, am Freitag dem BME mit. Zwar verbesserten sich die Geschäftsaussichten leicht, sie seien aber dennoch deutlich negativ. Dies sei zuvorderst auf die anhaltenden Spannungen im außenwirtschaftlichen Umfeld zurückzuführen. „Um wieder Rückenwind zu bekommen, brauchen die Betriebe hierzulande bezahlbare Energie, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, einen schnelleren, auch digitalen Infrastrukturausbau und ein wettbewerbsfähiges Steuersystem“, so Huhn weiter.
Zur jüngsten Entwicklung des EMI-Teilindex Einkaufspreise sagte Dr. Heinz-Jürgen Büchner, Managing Director Industrials, Automotive & Services der IKB Deutsche Industriebank AG, am Freitag dem BME: „Insbesondere in der zweiten Monatshälfte des September gerieten die metallischen Rohstoffe infolge der Furcht vor weiter eskalierenden Handelsauseinandersetzungen zwischen den USA und ihren Partnern deutlich unter Druck. Der Raketenanschlag auf die größte saudi-arabische Rohölverarbeitung bewirkte ein temporäres Anziehen der Erdölnotierungen, was im Monatsdurchschnitt vom September 2019 zu einem höheren Weltrohstoffpreisindex führte. Bei etlichen Rohstoffen sehen wir die Talsohle durchschritten. Gerade Kupfer, Zink oder Aluminium werden 2019 ein Angebotsdefizit aufweisen. Belastungen könnten aber von den neu angekündigten Zöllen der USA auf europäische Einfuhren ausgehen.“
Die Entwicklung der EMI-Teilindizes im Überblick:
Industrieproduktion: Auch zum Ende des dritten Quartals wurde die Produktion weiter zurückgefahren. Der entsprechende saisonbereinigte Teilindex sank noch tiefer unter die Referenzlinie von 50,0 Punkten und notierte auf dem tiefsten Stand seit Juli 2012. Im Konsumgüterbereich, wo im August noch starkes Wachstum verzeichnet wurde, schlug nun ein Minus zu Buche. Derweil setzten sich die Rückgänge im Vorleistungsgüterbereich sowie im Investitionsgüterbereich fort.
Auftragseingang insgesamt/Export: Der Rückgang beim Auftragseingang war laut Umfrageteilnehmern der Hauptgrund für die rückläufigen Produktionsraten im September. Viele der befragten Manager verbanden dies wiederum mit einem hohen Maß an Unsicherheit, was zum Stornieren, Verschieben oder Reduzieren von Aufträgen führte. Besonders davon betroffen waren die Automobilbranche sowie der Maschinenbau. Das Minus der Neuaufträge vergrößerte sich den dritten Monat in Folge und fiel so hoch aus wie seit April 2009 nicht mehr. Auch im September schrumpften die Exportaufträge der deutschen Hersteller stark, womit der Abwärtstrend seit nunmehr dreizehn Monaten anhält. Die Rückgangsrate blieb gegenüber August unverändert. Bei den Teilsektoren verzeichneten die Hersteller von Investitionsgütern den stärksten Rückgang, vor allem aufgrund geringerer Absatzzahlen in Asien, Europa und dem Nahen Osten.
Beschäftigung: Der Stellenabbau in der Industrie beschleunigte sich im September und fiel so kräftig aus wie seit Januar 2010 nicht mehr. Das deutliche Minus spiegelte Stellenkürzungen in allen drei Teilbereichen der Branche wider. In vielen Fällen wurde durch die Nichtverlängerung von befristeten Arbeitsverträgen die Beschäftigtenzahl reduziert. Daneben häuften sich die Meldungen über die Einführung von Kurzarbeit bei vielen Herstellern.
Einkaufs-/Verkaufspreise: Die durchschnittlichen Einkaufspreise sind im September den fünften Monat in Folge gesunken. Zwar schwächte sich die Inflationsrate im Vergleich zu August etwas ab, dennoch war es immer noch die zweitschnellste seit April 2016. Rund ein Viertel der Umfrageteilnehmer registrierte niedrigere Kosten im Einkauf. In den meisten Fällen wurde dies der grundsätzlich geringeren Nachfrage und dem damit stärkeren Wettbewerb unter den Anbietern zugeschrieben. Vor allem Chemikalien, Kunststoffe und Metalle (insbesondere Stahl und Aluminium) verbilligten sich. Die Kombination aus wachsendem Wettbewerb um neue Aufträge und fallenden Einkaufspreisen führte zum dritten Rückgang der Verkaufspreise in Folge. Zudem sackte der saisonbereinigte Teilindex weiter ab und signalisierte einen der stärksten Preissenkungen im Verkauf seit Ende 2009.
Jahresausblick: Auch am Ende des dritten Quartals bewertete die Mehrheit der befragten Manager die Geschäftsaussichten deutlich negativ. Zwar verbesserte sich der entsprechende Teilindex gegenüber August leicht, dennoch blieb er auf einem der schlechtesten Niveaus seit Juli 2012. Die größte Sorge ist nach wie vor die Ungewissheit, und zwar vor allem in Bezug auf die Handelskonflikte und den Brexit. Daneben trüben auch die schwächelnde Automobilindustrie sowie die Abkühlung der Binnen- und Weltkonjunktur den Ausblick.
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